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Martin Glemser: „Wider­sprüche im Erörterungsverfahren”

von | 11. Januar 2023 | Blog

Eine weitere Gelegenheit zur öffent­lichen Präsen­tation der Lärmpro­ble­matik des Abstell­bahnhofs konnte Martin Glemser am 9. Januar 2023 auf der 643. Montagsdemo wahrnehmen.  In seiner Rede konnte er die Unzuläng­lich­keiten und Wider­sprüche  des Erörte­rungs­ver­fahrens darstellen. Klage­be­rech­tigte Natur­schutz­ver­bände hatten aller­dings – vermutlich wegen des Prozesskosten-Risikos – keine Klage gegen die Plange­neh­migung des Eisen­bahn­bun­desamts (EBA) einge­reicht. Um So liegt das Risiko nun bei einer direkt betrof­fenen Privat­person, zu deren Unter­stützung sich der Verein Lärmschutz Unter­türkheim e. V. gegründet hatte.

Die Rede im Wortlaut:

Liebe Stutt­gar­te­rinnen und Stutt­garter, liebe kritisch Denkende,

ich darf Euch recht herzlich begrüßen im neuen Jahr 2023 und euch allen die besten Wünsche für ein gesundes Jahr zurufen.

2023 – das zweite Jahr nach der ursprüng­lichen Inbetrieb­nahme von Stuttgart 21.

2023 – das erste Jahr, in dem auf einem kleinen Stückchen der Strecke Paris – Bratislava ein fahrplan­mä­ßiger Bahnverkehr statt­findet – mit den wenigen Wägelchen, die über die nötige Elektronik verfügen. Voraus­ge­setzt, die Lokführer können diese auch bedienen.

2023 – das Jahr, in dem bekannt wird, dass die ursprünglich geplanten vier Milli­arden Bausumme verbraucht sind – verbraucht für die wenigen Kilometer von Wendlingen bis Ulm. Nicht für einen neuen Haupt­bahnhof, nicht für 50 km Bohrlöcher rund um unseren schönen Stutt­garter Talkessel – verbraucht für 10 Minuten Zeiter­sparnis auf dem Weg von Paris nach Bratislava.

2023 – ein Schick­salsjahr für die Einwohner in Unter­türkheim, in der früher idylli­schen Garten­stadt Luginsland, auf dem Rotenberg und wahrscheinlich auch in Wangen.

Doch zunächst: Ich bin Martin Glemser, Bezirks­beirat und kriti­scher Bürger in und aus Unter­türkheim. Seit 2010, als die Bahn erstmals ein Planfest­stel­lungs­ver­fahren für den „Wartungs- und Abstell­bahnhof Unter­türkheim“ vorgelegt hat, habe ich mich mit diesem Thema beschäftigt; habe mich durch die allge­meinen Beschrei­bungen und besonders durch die vorge­legten Lärmgut­achten gelesen. Nachdem die Bahn irgendwann die ursprüng­lichen Pläne beerdigt und auf Eis gelegt hatte, erschien  2019 die erneute Auflage einer überar­bei­teten Planfeststellung.

Was bringt mich nun heute hier auf die Bühne, um zu Euch zu sprechen?

In einem Erörte­rungs­ver­fahren, durch­ge­führt vom Regie­rungs­prä­sidium Stuttgart, wurden von den Projekt­gegnern viele Punkte angesprochen, die in den Vorlagen unlogisch und somit kritisch zu bewerten sind. Hier ist besonders hervor­zu­heben, dass sich die Bahn durch freie Auslegung von Rechen­vor­schriften und bestehenden Gerichts­ur­teilen zum Lärmschutz, um jeglichen aktiven Lärmschutz oder mögliche Einschrän­kungen des 24-Stundenbetriebs von Montag bis Sonntag drücken möchte!

Sämtliche unserer Kritik­punkte wurden im Übrigen ebenso von den studierten Mitar­beitern der Fachämter der Stadt Stuttgart gleich­falls erkannt und vorgetragen!

Lange Zeit hat sich das Regie­rungs­prä­sidium Stuttgart gegönnt, um in einem Abschluss­be­richt ausführlich alle vorge­brachten Einwände zu erörtern um dann auf über 200 Seiten zum Ergebnis zu kommen, das wäre alles nicht so schlimm. So war die Steil­vorlage für das Eisen­bahn­bun­desamt entstanden, welches dann als Geneh­mi­gungs­be­hörde die unvoll­stän­digen und unrich­tigen Vorlagen der Bahn unver­ändert übernehmen und eine Plange­neh­migung ohne jegliche Modifi­ka­tionen oder Einschrän­kungen erteilen konnte.

Was bedeutet dies für uns in den oberen Neckarvororten?

Diese Plange­neh­migung bedeutet, dass die Bahn an 7 Tagen über 24 Stunden hier vor unseren Schlafzimmern:

  • Eine Innen­rei­ni­gungs­anlage betreiben kann, in der an zwei Gleisen Züge abgestellt und gereinigt werden. Die Unfall­ver­hü­tungs­vor­schriften schreiben vor, dass durch Akustik­si­gnale (=Warnpiepser) die Beschäf­tigten bei der Ein- und Ausfahrt der Züge zu warnen sind.

Geplant: 2 Züge je Gleis, die ganze Nacht, 4 Vorgänge pro Stunde – den Kirchen ist oftmals der Viertel­stun­den­schlag in den Nacht­stunden verboten – wir in Unter­türkheim bekommen das wieder!

  • Es bedeutet weiterhin den Betrieb einer Außen­rei­ni­gungs­anlage (=Wasch­straße), in der die ganze Nacht hindurch Züge durch die Wasch­straße gezogen werden.

Die Wasch­straße ist 100 Meter lang; laut Lärmgut­achten sind die hier behan­delten Züge aber 200 oder 400 Meter lang. In der ersten Planauslage im Jahr 2010 bedeutete dies, dass die strom­losen Züge durch die Anlage gezogen werden, was den Beschäf­tigten (wir erinnern uns an unbedingt einzu­hal­tende Unfall­ver­hü­tungs­vor­schriften) durch optische und akustische Warnsi­gnale anzuzeigen ist. Im nunmehr geneh­migten Lärmgut­achten wurde dies prakti­scher­weise verschwiegen. Das Regie­rungs­prä­sidium übernimmt die Vorgabe des Rechts­an­waltes der Bahn, die Reinigung erfolge ausschließlich bei geschlos­senen Toren!

  • Es bedeutet auch: 120 dB Signal­horn­proben (=die Warntröte der Lok): Gemäß Betriebs­vor­schrift der Bahn muss ein Zug, der abgestellt gewesen war, vor Fahrt­an­tritt die Betriebs­fä­higkeit wieder herstellen und prüfen: hierzu gehört auch das Signalhorn der Lok – üblicher­weise 120 Dezibel die ganze Nacht, nach dem Motto: „Bürger, schläfst Du noch??“

Was tun mit diesem Ergebnis?

Die klage­be­rech­tigten Natur­schutz­ver­bände, der Landes­na­tur­schutz­verband, der BUND und andere haben es wegen des mögli­cher­weise hohen Kosten­ri­sikos abgelehnt, gegen die ergangene Plange­neh­migung des Eisen­bahn­bun­desamts zu klagen. Die Stadt Stuttgart, deren Mitar­beiter zu den selben Einschät­zungen kommen wie wir, dabei aber die Folgen für Unter­türkheim noch drama­ti­scher einschätzen, weigert sich, im Namen ihrer Einwohner etwas zu unternehmen.

Vor Ort hat sich ein direkt betrof­fener Anwohner gefunden, der somit klage­be­rechtigt ist. Wir haben einen Verein gegründet, um ihn organi­sa­to­risch und finan­ziell bei seiner Klage zum Wohle der Einwohner zu unter­stützen. Die Klage ist einge­reicht, die Bahn baut unver­drossen – wegen sofor­tiger Vollzieh­barkeit der Geneh­migung – und wir hoffen, dass wir vor dem Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg noch im Jahr 2023 einen Verhand­lungs­termin in dieser Angele­genheit erhalten.

2023 – ein Schick­salsjahr für Untertürkheim!

Deswegen sind wir heute nochmals hier, um auch Sie zu bitten, uns zu unterstützen:

  • einer­seits jetzt hier durch Unter­zeichnen unserer Unterschriftenaktion,
  • anderer­seits durch das Verfolgen unserer Aktivi­täten auf unserer Homepage: www​.laerm​schutz​-ut​.de,
  • gerne dürfen Sie uns auch finan­zi­ellen Beistand geben oder Mitglied werden; alle nötigen Infor­ma­tionen ebenfalls auf der Homepage.

Für heute danke ich für Eure Aufmerk­samkeit, wir sind anschließend im Publikum unterwegs und bitten um Unter­zeichnung der Petition.

Herzlichen Dank und: Oben bleiben!

Weiter­füh­rende Links:

Foto-Album
Montags­demos

© Fotos von Ulli Fetzer

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